1. Die Tempospirale der Kommunikationsmittel dreht sich immer schneller. Die rasende Beschleunigung wird zu einem Fetisch, der vor nichts mehr Halt macht und auch für ein fatales Synonym für Zeitgewinn steht. Dabei wird die Zeit, die durch die Technik eingespart wird, anderen Orts wieder verschleudert, als wäre sie beliebig akkumulierbar. Was hat man sich noch zu erzählen, wenn die Zeit entgleitet. Und wie kann man noch an der eigenen Identität bauen, wenn alle Erinnerung vom Rasen der Zeit zermetzelt und zerstückelt wird. Und wie die Zeit zerbröselt auch die Moral - in der Politik, in der Wirtschaft, in der Gesellschaft. Geld und Macht haben die alten Götter verdrängt.

2. Der ehemalige österreichische Bundespräsident Rudolf Kirchschläger hat dereinst gefordert, man soll die sauren Sümpfe trocken legen. Befragte man die Frösche dazu, so würden sich diese massiv dagegen wehren. Denn Sümpfe sind ihr Lebensraum. Dennoch hat man in der Natur vieles trocken gelegt. Aber nur um neue Baugründe für den Tourismus, die Wirtschaft und die Industrie zu erhalten und also die Gewinne zu maximieren. Unzählige Rückhalte-Landflächen sind zerstört und aber parallel dazu in einem Atemzug Hochglanzprospekte mit glücklichen Kühen und saftig grünen Wiesen produziert worden. Und intakte Blumenwiesen gibt es nur noch im Hochgebirge. Der Rest ist zu Baugrund und Monokultur verkommen. Noch nie wurde in so kurzer Zeit so viel an Wertschöpfung vernichtet wie in den letzten Jahren. In der Natur wurden also viele Sümpfe trocken gelegt. Im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökonomischen Bereich leider nicht.

3. Ein unseliges Bündnis aus Firmenlobbyisten und leicht beeinflussbaren EU-Beamten treibt den Regulierungswahn auf die Spitze. Nach der EU-Norm über die Salatgurke, dem Verbot der guten, alten Glühbirne und dem Versuch, die öffentliche Wasserversorgung für Privatfirmen zu öffnen will die EU in ihrem Gleichschaltungsrausch unter anderem auch alte Obst- und Pflanzensorten und damit jahrhundertealtes Kulturgut ausrotten. Dies sind nur einige Beispiele, wie der Individualität und der Vielfalt von oben herab der Garaus gemacht wird. Nichts ist vor den Regulierungswapplern sicher. Kultur wird Stück für Stück vernichtet und den Götzen Ertrag und Macht geopfert.

Oder in der Energiepolitik hat auch Europa nichts aus Fukushima gelernt. Von einem Atomstrom-Ausstieg ist man weiter entfernt denn je. Die Erzeugung von Nuklearenergie wird immer noch stärker gefördert als Alternativenergien. Dass eine 50 Jahre alte Form der Energiegewinnung immer noch so unverfroren gefördert wird, ist eigentlich eine Sauerei. Oder der ganze Überwachungsskandal, oder die Asylpolitik, - dass alles verdeutlicht, wie sehr Humanität durch Menschenverachtung ersetzt wird. Die Menschenverachtung nistet sich immer mehr als skrupelloser Standard ein.

4. Mit Wehmut blicken wir heute auf auf die 1960er und 1970er Jahre zurück. In eine Zeit, als Kunst noch etwas zu sagen hatte, als die Ästhetik im Bewusstsein der Künstlerschaft noch Hand in Hand mit dem politischen Fortschritt aufging. Eine Zeit, in der sich die Kunst noch in den Dienst basisdemokratischer Gedanken stellte, eine Zeit, in der Partizipation an politischen und gesellschaftlichen Prozessen noch ein zentrales existenzielles Element der Künstlerschaft war und der Begriff der Emanzipation sich nicht nur auf die Frauen sondern auf alle gesellschaftlichen und politischen Felder bezog. Mit Alfred Hrdlicka verstarb 2009, egal wie man zu seiner Kunst stand, vielleicht das letzte Exemplar einer Spezies aus der Kunstszene, die sich noch getraute, öffentlich Stellung zu beziehen und anzuecken und gesellschaftliche und ökonomische Ächtung in Kauf zu nehmen.5. Heute sind Künstler in der Mehrheit nur noch Verschönerer und Trendsetter. Sie sind zu Dekorateuren verkommen, die sich von den Hasardeuren, Glücksrittern, Spekulanten, Veruntreuern und den gewissenlos der Korruption und Korrumption Verfallenen aus Politik und Wirtschaft instrumentalisieren lassen. Kunst, Politik und Wirtschaft sonnen sich Rücken an Rücken liegend im Licht der medialen Öffentlichkeit. Kunst verkommt zum Event. Die Inhalte sind so dünn geworden, dass Kunst nur noch aus Oberfläche besteht. Sie gebärdet sich wie ein lichtes Windfähnchen, das sich in alle Richtungen dreht, je nach dem woher das von ökonomischer und medialer Anerkennung gespeiste Lüftchen weht. Es ist höchste Zeit, dass nicht mehr haufenweise kommerzielle und mediale Interessen oder Seilschaften das Kunst-Parkett dominieren, sondern substanziell aussagekräftige künstlerische Positionen die Basis der Kunst bilden.

6. Kunst muss also gerade in der Anfechtung bestehender realpolitischer Mechanismen und ihrer Protagonisten wieder politisch werden. Und sie ist dann im eigentlichen Sinne politisch, wenn sie zum Beispiel soziale Ungleichheiten, nationale, ethnische, religiöse oder geschlechtliche Aus- und Eingrenzungsmechanismen oder etwa auch Ausschlussverfahren und Hierarchien der Politik respektive der Exekutive in ihrem Werk referenziert. Kunst als Reflexiv gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen muss aus ihren Anbiederungslöchern hervorkriechen und wieder Rückgrat zeigen und Verantwortung übernehmen.

7. Eine der bedauerlichsten Erscheinungen in der heutigen Kultur ist der Kniefall von Kunst und Literatur vor dem Massengeschmack. Die Qualität wird der Jagd nach Breite und Quote geopfert. Die Quote regiert die Welt. Das Populäre, das Banale wird zur Spitze erklärt. Der Anpassung nach unten sind keine Grenzen gesetzt. Qualität und Denken wird zur Aussätzigkeit erklärt. Das kulturelle Schaffen wird zum Absturz in die Banalität und zum Verrat an sich selbst. Anstatt dass sich die Kunst als ein Areal gesteigerter kritischer Wahrnehmung und ästhetischer Reflexion über die Gegenwart manifestiert, wird sie zum Schauraum für gefällige Güter des alltäglichen Durchschnitts.

8. Im eigentlichen Sinne befindet sich der Künstler heute in einer zwiespältigen Lage. Als unterhaltsamer Aufputsch ist er bei gesellschaftlichen Veranstaltungen gerne gesehen. Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft lassen sich gerne neben Kunstschaffenden fotografieren, denn das bringt mediale Öffentlichkeit. Aber eigentliche Wertschätzung erfährt der Künstler keine. Vom Lebensstandard her gesehen rangiert er am untersten Ende der sozialen Werteskala. Ein Großteil der Kunstschaffenden lebt unter dem Existenzminimum. Der Satz, „je anspruchsvoller das Werk, desto geringer die Wertschätzung“ könnte man fast zum Axiom erklären. Gute Künstler sind tote Künstler. Die Reihe jener Kunstschaffenden, die erst posthum, Jahre und Jahrzehnte nach ihrem Tod, die Wertschätzung bekamen, die sie verdienten, ist endlos.

Und nimmt man das aktuelle Betriebssystem Kunst in Augenschein, so wird man gewahr, dass in all dem Gefüge beispielsweise Kunsthausdirektoren und Kuratoren wichtiger als die Künstler selbst sind. Künstler werden zu Trittbrettern, die die „schwarzen Götter“ des Systems, sprich Ausstellungsorganisatoren benützen, um die eigene Karriere zu befördern. An einer Ausstellung verdienen letztlich die Institution, der Direktor, der Kurator, das Personal, die PR-Leute, die Grafiker, die Fotografen. Wer am Schluss aber brotlos dasteht und sprichwörtlich durch die Röhre schaut, ist meist der Künstler oder die Künstlerin.

Herbert Meusburger, 1.10.2013

Dienstag, Oktober 1, 2013

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